STRUKTUREN & TEXTUREN

Die Rinde eines Baumes fühlt sich anders an als das Blatt des Wollziestes. Das Berühren mit geschlossenen Augen fördert die achtsame Wahrnehmung.
Was hat das mit uns zu tun? Ziemlich viel. Jeder Mensch hat schon aufwühlende und schwierige, persönliche Situationen erlebt. Besser als sich ins Bett und in die Kissen zu verkriechen, ist es, Unkraut zu zupfen, Pflanzen im Garten zu fühlen und Düfte und Gerüche bewusst in sich aufzunehmen. Dann wird es einem ein bisschen leichter. Ausgangspunkt der klassischen Gartentherapie war der positive Einfluss der Beschäftigung mit gärtnerischen Tätigkeiten auf Menschen mit Demenz. Und hier kommt der Duft wieder ins Spiel. Auch wenn der Geruchssinn im Alter und mit Demenz abnimmt, viele ältere Menschen, die in der Welt des Vergessens leben, können durch Düfte für eine kurze Zeit „zurückgeholt“ werden. Der Duft einer Rosenblüte oder einer Zitronenschale macht’s möglich. Menschen, deren Gehirnzellen geschädigt sind, blühen bei bekannten Düften im wahrsten Sinne des Wortes wieder auf. Neben den Düften von kräftig riechenden Blumen sind es auch Küchengewürze wie Kümmel, Koriander und Anis sowie Kräuter, die einen unverwechselbaren Geruch verströmen.
Wenn Sie jemanden kennen, der an Demenz erkrankt ist, ermöglichen Sie einen Ausflug in einen Garten mit Düften und Blumen. Jetzt im Frühjahr verströmen vor allem Hyazinthen, Narzissen oder später Maiglöckchen ihren Duft. Es ist berührend und bereichernd zu erleben – für den erkrankten und für den gesunden Menschen -, wie der Garten eine Brücke sein kann aus der Welt des Vergessens ins Hier und Jetzt. Zumindest für ein paar wertvolle Augenblicke.
Hören und Sehen lassen im Alter nach, der Tastsinn gewinnt an Bedeutung. Die Struktur mancher Pflanzen fordert den Betrachter geradezu auf, sie zu ertasten und zu erfühlen. Für Berührungen sind die meisten Menschen, mit oder ohne Demenz, empfänglich. Überall im Garten kann man mit dem Tastsinn etwas erfahren, vom Boden bis zu Blütenständen. Der Gartenboden, auch der im Hochbeet, hat eine besondere Bedeutung. Der Kontakt ist eine taktile Urerfahrung, das Greifen und Fassen wirken beruhigend. Eine sanft nachgebende Rasenfläche, weiches Moos, der filzig behaarte Blütenstand eines Chinaschilfs oder das sich pelzig anfühlende Blatt eines Woll-Ziests rufen angenehme Gefühle hervor. Die raue, vielleicht abblätternde Rinde eines Baumes kann andere Areale im Gehirn aktivieren.
Außer der positiven Wirkung auf Menschen mit Demenz entfaltet der Garten noch andere therapeutische Wirkungen. Nicht umsonst heißt es: „Der Garten ist ein Jungbrunnen“. Wer viel im Garten arbeitet, bleibt bis ins fortgeschrittene Alter fit. Viel frische Luft, viel Bewegung halten den Körper vital, das hautnahe Miterleben der Jahreszeiten, das Beobachten, die Freude, wenn Pflanzen erblühen und duften oder die Kirschen und Tomaten knackig und frisch gepflückt werden, freut das Herz, bringt uns ganz nahe an die Schöpfung heran.
Aus der Gartentherapie ist bekannt, dass psychisch labile Menschen ihr Selbstwertgefühl steigern, wenn sie Verantwortung für Pflanzen übernehmen und diese fürsorglich begleiten von der Aussaat bis zur Ernte, sei es Salat, Tomaten oder Blumen. Menschen mit schwerer Lebensgeschichte und unangepassten Verhaltensmustern öffnen sich und machen ihr Innenleben bei der Arbeit mit Pflanzen in Natur und Garten zugänglich.
Ableiten können wir für uns: In schwierigen psychischen Situationen oder bei Verstimmungen und Unruhe hilft Arbeit mit Pflanzen und im Garten. Die Arbeit im Garten bringt uns in Verbindung zur Erde. Sie erdet uns und beruhigt uns, wenn unser Geist zu viel auf einmal verarbeiten will. Wir erleben uns als Teil des Kreislaufs der Natur, wir respektieren die Natur und haben die tiefere Erkenntnis, dass wir nicht alles beherrschen können, sondern dass wir dort so sein können, wie wir sind. Das nivelliert alles andere und nimmt die Spitzen in unruhigen Zeiten.
Dieses Wissen ist ein Grund mehr, sich mit Freude ins Gartengeschehen zu stürzen, aufmerksam und achtsam zu beobachten, was die Natur mit und ohne unser Zutun Erstaunliches und Bewundernswertes zuwege bringt. Kommen noch Sonnenstrahlen dazu – nichts wie raus in den Garten.